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GFK Grundlagen

Wie du mit der Gewaltfreien Kommunikation Kränkungen durchleben lernst, ohne krank zu werden und ohne „Schuldige“ zu suchen.

Eingeschnapptheit und Empörung zählen zu den wenigen Seins- oder Verhaltensweisen, die den Menschen grundsätzlich vom Tier unterscheiden. Als Reaktion auf das Erleben eines verbalen Angriffs oder einer Kränkung betrachte ich Eingeschnapptheit im Wesentlichen als eine Kulturkrankheit, in der sich das allzu Menschliche am Naturwesen Mensch zeigt.

Historisch betrachtet führten Beleidigtheit und Kränkung besonders unter Männern zu merkwürdigen Dialog-Techniken. Das Duell ist eine davon. Es geht darum, Konflikte zu lösen, und zwar auf dem neuesten Stand der Technik. Kaum waren z.B. Handfeuerwaffen erfunden, entwickelten Männer Rituale, in denen strenge Regeln und „Augenhöhe“ eine Entscheidende Rolle spielen. Duelle haben zwar Ähnlichkeiten mit natürlichem Verhalten wie Brunft oder Abgrenzung von Revieren, geben uns dennoch bis heute große Rätsel auf. Ein Spiel auf Leben und Tod oder lebenslange Verkrüppelung? Dass Frauen von der Neigung zu Eingeschnapptheit nicht verschont bleiben, sei hier nur am Rande angemerkt. Auf genuin weiblich genannte Strategien zur Lösung von Kränkungsdelikten gehe ich an anderer Stelle ein.

Ist das Duell eine Form der Konfrontation, der tatkräftigen Auseinandersetzung im gemeinsam auszufechtenden Kampf um Klarheit, führt Eingeschnapptheit in die entgegengesetzte Richtung: Abwendung, Rückzug, Sackgassen. Wütend fallen Türen ins Schloss, schlagartig verfinstern sich Aussichten. Der beleidigte, niemals unschuldige Abbruch von Verbindung und Kommunikation führt meistens ins Dunkle – zumindest vorübergehend.

Warum ist Eingeschnapptheit so weit verbreitet …?

 

Ich halte Einschnappen für ein Ereignis, das manchen Zeitgenossen zur zweiten Natur geworden scheint. Allerdings kenne ich keinen, der es gar nicht kennt. Es passiert einfach. Jedem. Es ist, als sperrte mich jemand in ein Hamsterrad. Keine Denk-Anstrengung ist mir bekannt, die mir im Moment einer persönlichen Kränkung aus diesem Schmerz, dieser Tretmühle heraushilft, noch verfüge ich über die Kräfte eines Baron Münchhausen, um mich am eigenen Schopf aus meinem emotionalen Sumpf herauszuziehen. Ich hasse „es“. Als übelseiendes Fühlen opponiert die Eingeschnapptheit jedem Ansatz wohlwollenden Denkens. Nietzsche nennt es Ressentiment[1], als „Rückschlagsgefühl“ übersetzt es Theodor Lessing[2]. Ich verliere meine Souveränität, falls ich mir einbildete, souverän zu sein. Ratlos haste ich weiter, gefangen in meinem Hamsterrad, mit Wut schwanger und üblen Gedanken im Sinn gegen Gott und die Welt. Wer weiß, warum?

… und hat die GFK tatsächlich wirksame Mittel dagegen?

Auch in der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) gehört der Umgang mit beleidigtem Schweigen oder depressivem Rückzug zu den großen Herausforderungen. Wie gelingt mir der Ausstieg aus der „Tretmühle Ressentiment“? Wie gehe ich damit um, wenn jemand jeder Annäherung ausweicht und partout nicht aus seiner Eingeschnapptheit heraustreten möchte? Was kann ich noch tun, wenn mein Gegenüber mit Leib und Seele auszudrücken scheint: „Lass mich in Ruhe!“ Aber auch und vor allem: Wie gehe ich mit mir selbst um ohne meinerseits einzuschnappen und ohne Kontakt zu dem zu verlieren, was mich im Umgang mit Menschen und der Welt zuversichtlich und bei Laune hält? Ja, auch dafür hat die GFK Mittel und Wege.

Auswege aus Kränkungen

Mit der GFK „auf Sicht gehen“ und zu sich kommen.

Bin ich betroffen, dann führt der einzig sinnvolle Weg zum Umgang mit fremder Eingeschnapptheit über die Selbstklärung. Schon bei ernsthaften Versuchen, Situationen von Eingeschnapptheit mit meinen herkömmlichen Mitteln zu beantworten, die mir in die Wiege gelegt wurden, werde ich bereits das eine oder andere Trugbild entdecken und Irrwege erkennen. Doch wo es ernsthaft klemmt, komme ich damit nicht weiter. Dann gilt es, selbst meine besten Routinen, Erfahrungen und Positionen in Frage zu stellen. Die GFK bietet dazu neue Perspektiven und Werkzeuge. Mit denen lerne ich nicht nur meine eigene Betroffenheit besser verstehen und anders zu handhaben, sondern auch das Verhalten anderer. Geradezu überlebenswichtig ist das dann, wenn mir ein wertschätzender und wohlwollender Umgang nicht nur mit meinen Liebsten, sondern auch mit Kollegen wichtig ist, die mit Rückzug, Schweigen oder stummer Aggressivität reagieren.

Alles beginnt also mit einem Blick in den Spiegel, mit klärender Reflexion. Was ist eigentlich vorgefallen, dass ich derart berührt bin? Welche meiner Bedürfnisse sind aus welchen Gründen im Mangel? Schon sind wir beim „kleinen Einmaleins“ der Gewaltfreien Kommunikation.

Für mich ist die GFK praktische Philosophie durch die Hintertür eines Kommunikationskonzeptes. Mein gewöhnliches Leben, unsere geteilte Realität oder die in ständigem Wandel begriffene „Wirklichkeit“ nötigen mir täglich aufs Neue Entscheidungen ab. Damit sind sie auch Einladungen, neue, andere und vor allem eigene Wege zu gehen im Umgang mit mir und anderen. Um alte Irrwege von neuen Wegen zu unterscheiden, stellt mir die GFK wertvolle Methoden bereit. Beginnen wir mit einem Blick auf ziemlich ausgetretene Wege, die als Irrwege eine lange Tradition haben. Wenn ich verstehe, was ich dort sehe und vielleicht schmerzlich erlebe, kann ich andere Entscheidungen treffen und mich zu neuen Horizonten aufmachen.

Irrweg Nr. 1: Ich suche die Schuld beim anderen

Es scheint so offensichtlich: Jemand tut oder sagt etwas und DAS kann ich kaum aushalten. Geht`s noch schlimmer? Ja! Jemand tut nichts und sagt nichts (mehr), wendet sich beleidigt oder depressiv ab und ich höre entweder nur noch den „Sound of Silence“, üble Nachrede „hintenherum“ oder die Kanzleisprache von Anwälten. Liegt damit nicht auf der Hand, wer an meiner Kränkung schuld ist? Nein, das Verhalten anderer kann immer nur Auslöser meiner Gefühle (und Gedanken) sein. Die Ursache der Kränkung liegt in mir selbst, und zwar in einer Verstrickung aus unerfüllten Bedürfnissen einerseits und meinem Selbstbild auf der anderen Seite. Zugegeben: Diese Verstrickung ist ziemlich kompliziert und kaum endgültig aufzulösen. Doch bin ich mit mir im Reinen, also weder von übermäßigem Stolz getrieben noch von geheimer Selbst-Ablehnung oder Neid und Groll geplagt, dann habe ich meist festen Boden unter den Füßen. Aus einer derart soliden Grundhaltung lasse ich mich auch von der Eingeschnapptheit meines Gegenüber kaum hinreißen zu einer ernsthaften eigenen Kränkung-  im Gegenteil. Ich lerne mich dem zuzuwenden, was ich brauche, ohne eine Bring-Schuld für unerfüllte Bedürfnisse beim anderen zu suchen.

Irrweg Nr. 2: Ich suche die Schuld bei mir

Es könnte natürlich sein, dass ich doch mehr darunter leide, wie mein Gegenüber sich verhält, als mir lieb ist. Dann glaube ich vielleicht, nicht über genügend Mittel zu verfügen, um von meinem Gegenüber gehört und gesehen zu werden. Mir fehlen wohlwollende, klare und zugleich unwiderstehliche Worte, um sie oder ihn zu Wahrheit und Klarheit zu verführen. Das gilt insbesondere für jene Fälle, in denen ich selbst mein Gegenüber bin, womit wir wieder bei der Selbstklärung angelangt sind.

Auch mir selbst gegenüber kann ich in die Falle tappen, mich vorschnell für unfähig oder schuldig zu sprechen in einem Konflikt. Dabei hat der selbstanklagende Schuldspruch oft die erleichternde Funktion, die Komplexität der Lage zu reduzieren. Manchmal hilft es, einen „Untäter“ und ein „Opfer“ zu haben. Doch nicht selten rechtfertige ich durch Selbstviktimisierung nur meine Denkfaulheit. Das gibt mir zum Beispiel der moralische, zugleich reizvolle Satz „Sich klein machen ist unanständig!“ zu denken. Mich selbst klein zu machen hat nämlich den Vorteil, dass ich von einer weiteren Reflexion meines Verhaltens, meiner Rolle im Konflikt absehen kann, insbesondere, wenn es sich um meine Neigung zu unterschwelligem Groll oder überschäumender Angriffslust handelt. Mir durch Selbstverurteilung ein schlechtes Gewissen zu machen um trotz meiner eigenen Eingeschnapptheit oder Aggressivität ein gutes Gewissen haben zu können, ist ziemlich der mieseste Griff in die Kiste meiner Möglichkeiten.

Auch hier verhilft die GFK zu Einsichten und Wegen, wie ich mein eigenes Verhalten, meine eigene Eingeschnapptheit bedauern und lösen kann, ohne mich dafür zu grämen, zu schämen oder gar zu verurteilen. Ich lerne, unerfüllte Bedürfnisse zu verstehen und zu bejahen, ohne mit meiner eigenen Beleidigtheit einverstanden sein zu müssen. Doch vor allem lerne ich, bei der nächsten Gelegenheit nicht wieder einfältig und blind in die gleiche Falle zu tappen. Ich lerne dazu.

Irrweg Nr. 3: Einer muss es gewesen sein.

Mir ist keine Gesellschaft bekannt, in der die Themen „Schuld, Scham und Verantwortung“[3] keine Rolle spielten. Aus guten Gründen sprechen wir in der GFK weder von Schuld noch von Strafe oder anderen derartigen Sanktionen. Ich beobachte Handlungen und Ereignisse, arbeite mit Gefühlen und Emotionen und orientiere mich an Bedürfnissen und Idealen. Keine Tat wird dadurch weniger schlimm, kein Abbruch von Kommunikation und Beziehung tut weniger weh. Doch ich lerne den Unterschied kennen zwischen meiner Freiheit und Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen einerseits und der strafenden Maßnahme „zur Verantwortung gezogen“ zu werden auf der anderen Seite.

Durch die Art und Weise, wie ich mit mir selbst und mit anderen im Konflikt umgehe, kann ich eine Situation viel weitgehender bestimmen, als mir das mein gewöhnlicher Umgang mit bestimmten Konfliktsituationen nahelegt. Dies gilt nicht nur für die Situation oder einen Vorfall selbst, sondern auch die Konsequenzen im Umgang damit. Ich lerne, mit mir selbst auf Augenhöhe zu kommen. Eine bedauernswerte Handlung, zu der ich mich bewusst entschieden habe oder zu der ich mich habe hinreißen lassen, lerne ich so zu verstehen, dass ich Klarheit finde.  Mit der GFK lerne ich, Frieden mit mir selbst zu schließen, ohne mich selbst zu verurteilen. Und ich finde Wege, auf denen ich ins Reine komme, ohne meine tatsächliche Handlung herunterzuspielen, so schmerzhaft sie für mich oder andere auch gewesen sein mag.

Sowohl bei der Arbeit mit Begriffen wie dem „inneren Kritiker“ als auch im Umgang mit Kategorien wie Scham und Schuld zeigt sich, wie wertvoll die GFK und die von ihr angebotenen Perspektivwechsel sind. Schuld und Scham aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen sind das eine. Der Bruch mit dem System althergebrachter Konsequenzen ist ein anderes. Denkfehler wie: „Der wird dafür büßen“, gehören auf den Prüfstand und die Werkbank, auch, wenn ich es selbst bin, der oder die büßen soll. Die GFK bietet wertvolle Werkzeuge dazu, mit mir selbst und anderen in ein entspannteres Verhältnis zu kommen.

Raus aus Irrwegen und Sackgassen: Die GFK als Orientierungshilfe

In der GFK geht es darum, selbst Verantwortung zu übernehmen, ohne mich dabei zu übernehmen. Je nach dem, woher ich komme, von welcher Natur mein Wesen ist oder zu welchem Charakter ich geworden bin, ist das eine mehr oder weniger langwierige Aufgabe.

Habe ich oft mit Kränkungen, mit Gefühlen wie Niedergeschlagenheit und Depression zu tun? Neige ich zu Flucht, Kopf in den Sand, Gleichgültigkeit, Eingeschnapptheit oder aggressiver „Alles oder Nichts“-Mentalität und habe dazu eine Vielzahl von Geschichten parat, woran das liegen könnte? Dann gehe ich leicht in die Irre.  Selbst wenn ich „Opfer“ schwieriger Verhältnisse bin heißt das nicht, immer im Recht zu sein, geschweige denn, ein Dauer-Abo auf Kränkung oder üble Laune zu haben. Mich in schmerzhaften Konflikten oder schwierigen Lebenssituationen selbst zum Opfer oder andere zu Tätern zu machen, ist einer der vielen Irrwege, aus denen die GFK mich herausführt. Doch ich muss mich selbst orientieren und ich muss selbst gehen. Dann lerne einerseits, dass ich nicht sinnvoll verantwortlich zu machen bin für die Qualität von Gefühlen, die in gewissen Situationen in mir entstehen. Andererseits übe ich mich darin, wie ich mit meinen Gefühlen und meinen Gedanken in dem Sinn konstruktiv umgehe, dass sich meine Haltung und meine Verhaltenstendenzen verändern – heraus aus der „Einbahnstraße Eingeschnapptheit“, Schritt für Schritt. Es liegt an mir und in meiner Kraft, ins Offene zu gehen.

„Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.“ (C. Dickens)

Wenn du magst, melde dich in einem unserer Seminare an. Nichts hilft besser durch bedrückte und bedrückende Zeiten, als gemeinsam mit anderen für gute Mobilität zu sorgen zwischen Denken und Fühlen. Einschnappen ist dumm und auf Dauer langweilig. Es gilt, Türen zu öffnen. Zwischen deinem Kopf und deinem Bauch zu vermitteln ist oft nicht nur lustig, sondern es führt auch zu überraschend einfachen Lösungen. Nicht zuletzt lernst du dabei eine Sprache und Haltung, die aus (Selbst-) Wertschätzung, einem klaren, wohlwollenden Blick und einem guten Gespür für alle Beteiligten entsteht.

 

 

 

Stefan Becker


[1] Nietzsche: Genealogie der Moral

[2] K. Theodor Lessing: Nietzsche. S. 44

[3] Lotter: Schuld, Scham, Verantwortung.

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